5.6 Lösungsverfahren: Eliminationsverfahren

Wie in Abschnitt 5.4 erwähnt, haben sich mit der Zeit mehrere verschiedene Namen für das Eliminationsverfahren entwickelt. Die gebräuchlichsten sind:

  • Eliminationsverfahren
  • Gaußsches Eliminationsverfahren
  • Gauß-Verfahren
  • Additionsverfahren

Wir werden in Bemerkung 5.6.2 darauf eingehen, wie sich diese Namen erklären lassen.

Lösungsverfahren 5.6.1 (Eliminationsverfahren). Wir betrachten zunächst wieder das lineare Gleichungssystem

[                 ]
   x  +   y =   1

  2x  −   y =   3
aus Beispiel 5.4.2 um die grundlegende Idee darzustellen. Anschließend schauen wir uns ein etwas komplizierteres Beispiel an.

Wir sehen hier, dass in der ersten Gleichung +y und in der zweiten −y vorkommt. Wäre es nicht praktisch, wenn wir die Gleichungen einfach addieren könnten? Denn dann würde das y einfach wegfallen:

        x  +  y  =   1
-+-----2x--−--y--=---3-
       3x        =   4
In der Tat dürfen wir dies tun. Wir können es uns wie folgt in Schritte unterteilt vorstellen: zunächst addieren wir auf beiden Seiten der zweiten Gleichung 1 hinzu. Dann ersetzen wir 1 auf der linken Seite gemäß der ersten Gleichung. In formalen Gleichungsumformungen ausgedrückt, sieht das Ganze wie folgt aus:
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Das umgeformte Gleichungssystem sieht dann wie folgt aus

[                 ]
   x  +   y =   1
  3x        =   4
Wir können nun versuchen, das x in der ersten Gleichung loszuwerden. Dazu gehen wir so vor: zunächst muliplizieren wir die erste Gleichung mit 3 und erhalten
[                 ]
  3x  +  3y  =  3
  3x         =  4
Nun subtrahieren wir die zweite Gleichung von der ersten:
       3x  +  3y  =    3
-−-----3x---------=----4-
              3y  =  − 1
Unser Gleichungssystem sieht nach diesen Umformungen so aus:
[             ]
   3y =   − 1
   3x =     4
Dividieren wir nun noch durch 3, so erhalten wir die Koordinaten der Lösung des Gleichungssystems:
y  =  − 1-
        3

x  =    4-
        3

Wir zeigen nun noch wie man all diese Schritte recht kompakt aufschreiben kann, ohne dabei wichtige Informationen wegzulassen. Dazu benutzen wir Pfeile, die jeweils eine Umformung des gerade betrachteten Gleichungssystems signalisieren. Über den Pfeilen notieren wir, welche Umformung wir durchführen.

Die römischen Zahlen symbolisieren dabei die Gleichungen: stellt euch vor, dass die Gleichungen des aktuellen Gleichungssystems, oben angefangen, mit römischen Zahlen durchnummeriert sind; Gleichung I ist also die erste Gleichung, Gleichung II die zweite Gleichung. Beispielsweise steht über dem zweiten Pfeil “II + I”, was eine Kurzschreibweise ist für “Addiere Gleichung I zu Gleichung II”. Zum besseren Verständnis, schreiben wir auch noch die restlichen gemachten Umformungen aus:

  • “I ⋅ 3” steht für “Multipliziere Gleichung I mit 3”,
  • “I − II” bedeutet “Subtrahiere Gleichung II von Gleichung I”,
  • “I : 3” bedeutet “Dividiere Gleichung I durch 3”, und
  • “II : 3” steht für “Dividiere Gleichung II durch 3”.
pict

Bemerkung 5.6.2. Hier kurz einige Worte zum Namen dieses Verfahrens. Betrachten wir nochmals den folgenden Schritt aus obigem Beispiel:

        x  +  y  =   1
-+-----2x--−--y--=---3-
       3x        =   4
Wir haben hier die erste Gleichung zur zweiten hinzu addiert. Aus diesem Grund bezeichnet man das Verfahren auch als “Additionsverfahren”. Dies ist insofern irreführend, als dass es natürlich auch sinnvoll sein kann, Gleichungen eines Systems voneinander zu subtrahieren, wie wir es ebenfalls schon gesehen haben:
       3x  +  3y  =    3
 −     3x         =    4
-------------------------
              3y  =  − 1
Es lässt sich aber bei beiden Vorgehensweisen beobachten, dass jeweils eine Variable wegfällt. Genau dies war unser Ziel; man könnte auch sagen, wir haben die Variable eliminiert. Daher die Bezeichnung “Eliminationsverfahren”. Diese Methode wurde von Carl Friedrich Gauß entwickelt, weshalb wir sie auch “Gaußsches Eliminationsverfahren” oder kurz “Gauß-Verfahren” nennen.

Rezept 5.6.3. Wir fassen hier die einzelnen Schritte des Verfahrens zusammen, um uns eine bessere Übersicht zu verschaffen. Es ist eine gute Idee, bei der Bearbeitung einer Aufgabe dieses Rezept Schritt für Schritt abzuarbeiten. Dies hilft dabei, auch beim Lösen der Aufgabe immer den Überblick zu behalten, was dazu beiträgt, dass man seltener etwas vergisst.

1.
(Faktoren ganzzahlig machen)
2.
die Variable bestimmen, die eliminiert werden soll
3.
Faktoren vor dieser Variable in zwei Gleichungen angleichen
4.
diese Gleichungen addieren beziehungsweise subtrahieren, sodass die ausgewählte Variable wegfällt; das Ergebnis vereinfachen, falls möglich
5.
eine der zwei Gleichungen aus Schritt 3 durch das Ergebnis dieser Addition beziehungsweise Subtraktion ersetzen
6.
Kommt die ausgewählte Variable noch in mehr als einer Gleichung vor? Wenn ja starte wieder bei Schritt 3. Ansonsten fahre mit Schritt 7 fort.
7.
Ist in jeder Gleichung maximal eine Variable übrig? Wenn nicht, starte wieder bei Schritt 2. Wenn ja, fahre mit Schritt 8 fort.
8.
die Gleichungen durch die Faktoren der Variablen dividieren
9.
Lösung ablesen
10.
(Probe durchführen)

In Beispiel 5.6.4 führen wir das Eliminationsverfahren genau nach diesem Rezept aus, um die einzelnen Schritte zu verdeutlichen. Hier allerdings noch einige kurze Erklärungen zu bestimmten Schritten:

Schritt 1 ist zwar nicht notwendig aber oft sehr nützlich, um die Gleichungen zu vereinfachen und die Rechnungen nicht unnötig kompliziert werden zu lassen.

In Schritt 2 dürfen wir nur unter den Variablen wählen, die wir noch nicht eliminiert haben. Dabei ist Folgendes zu beachten: kommt eine Variablen nur in einer Gleichung des Systems vor, so ist diese Variable effektiv schon eliminiert, auch wenn wir sie noch nicht aktiv eliminiert haben.

In Schritt 3 dürfen wir nur solche Gleichungen wählen, die die ausgewählte Variable noch beinhalten, ansonsten lässt sie sich nicht eliminieren. Das “Angleichen” erfolgt durch Multiplizieren der beiden Gleichungen mit je einer geeigneten Zahl.

In Schritt 5 ersetzen wir so, dass schon einmal eliminierte Variablen nicht wieder in mehr als einer Gleichung des Systems auftauchen. Kann das nicht passieren, so ersetzen wir die Gleichung, die uns am kompliziertesten erscheint.

Bei der Probe in Schritt 10 setzt man den in Schritt 9 berechneten Punkt in das ursprüngliche Gleichungssystem ein, um zu überprüfen, ob er tatsächlich eine Lösung des Gleichungssystems ist. Dies ist sinnvoll, weil es bei den vielen Rechenschritten, die man im Eliminationsverfahren durchführt, leicht dazu kommen kann, dass man sich verrechnet.

Beispiel 5.6.4. Wir behandeln nun ein etwas schwereres Beispiel, insofern als dass die Vorfaktoren komplizierter sind. Gegeben sei das lineare Gleichungssystem

⌊                       ⌋
    2-      2
⌈   21x  +   7y  =     0 ⌉
  − 12x  +   25y  =  − 1190
Wir gehen beim Lösen dieses Gleichungssystems genau nach Rezept 5.6.3 vor.

Schritt 1: Wie im Rezept erwähnt, ist dieser Schritt nicht notwendig, aber sinnvoll, wenn man sich die Rechnungen erleichtern will. In diesem Schritt formen wir die Gleichungen so um, dass die Brüche verschwinden. Dazu multiplizieren wir mit dem Hauptnenner aller Faktoren einer Gleichung. In Gleichung I haben wir die Brüche 2-
21 und 2
7. Da 7 ein Teiler von 21 ist, ist 21 der Hauptnenner, sodass die Brüche verschwinden, wenn wir die Gleichung mit 21 muliplizieren:

pict

Nun multiplizieren wir noch Gleichung II mit dem Hauptnenner der Brüche 1
2, 2
5 und 19
10, also mit 10.

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Das umgeformte Gleichungssystem sieht nun wie folgt aus:

[   2x  +   6y =      0 ]

   − 5x +   4y =   − 19

Schritt 2: Wir wollen zuerst x eliminieren.

Schritt 3: In diesem Schritt müssen wir die Faktoren der ausgewählten Variablen, also x, in zwei Gleichungen angleichen. Da wir nur zwei Gleichungen in unserem Gleichungssystem haben, müssen wir genau diese beiden wählen. “Faktoren angleichen” heißt, dass wir die Gleichungen jeweils so mit einer Zahl multiplizieren, dass hinterher die Faktoren von x (bis auf Vorzeichen) übereinstimmen. Der Faktor vor x in Gleichung I ist 2, der in Gleichung II ist −5. Wir können die erste Gleichung also mit 5 und die zweite mit 2 multiplizieren:

pict

Schritt 4: Wenn wir die beiden Gleichungen nun addieren, fällt das x weg:

        10x  +  30y  =     0
-+----−-10x--+---8y--=---− 38-
                38y  =   − 38
Das Ergebnis, also die Gleichung 38y = −38, lässt sich recht offensichtlich vereinfachen, indem wir sie durch 38 dividieren: dadurch erhalten wir die Gleichung y = −1.

Schritt 5: Wir ersetzen Gleichung II des Gleichungssystems

[   2x  +   6y =      0 ]

   − 5x +   4y =   − 19
durch das vereinfachte Ergebnis der Addition in Schritt 4. Wir landen also bei folgendem Gleichungssystem:
[ 2x  +  6y  =    0 ]

          y  =   − 1

Schritt 6: Die Variable x kommt nur noch in einer Gleichung vor. Wir können also mit Schritt 7 fortfahren.

Schritt 7: Wir sehen, dass in Gleichung I noch die beiden Variablen x und y vorkommen. Nach Rezept müssen wir also zurück zu Schritt 2.

Schritt 2: Wir wählen nun y, da wir x schon in allen Gleichungen außer einer eliminiert haben.

Schritt 3: Die Faktoren vor y in den beiden Gleichungen sind 6 und 1. Multiplizieren wir also die zweite Gleichung mit 6, so haben wir die Faktoren angeglichen.

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Schritt 4: Wenn wir die beiden Gleichungen nun subtrahieren, fällt das y weg:

       2x  +  6y  =    0
-−------------6y--=--−-6-
       2x         =    6
Auch hier können wir wieder vereinfachen: wir dividieren das Ergebnis durch 2 und erhalten die Gleichung x = 3.

Schritt 5: Wir müssen uns nun entscheiden, welche der beiden Gleichungen

2x  +  6y  =    0

        y  =   − 1
wir durch das vereinfachte Ergebnis aus Schritt 4 ersetzen. Nach Rezept müssen wir hier die erste Gleichung ersetzen, da wir ansonsten wieder zwei Gleichungen hätten, in denen x vorkommt. Dadurch erhalten wir das folgende Gleichungssystem:
[           ]
  x  =    3
  y  =  − 1

Schritt 6: Die Variable y kommt nur noch in einer Gleichung vor. Wir können also mit Schritt 7 fortfahren.

Schritt 7: In allen Gleichungen ist genau eine Variable übrig. Das heißt, wir dürfen zu Schritt 8 übergehen.

Schritt 8: Die Faktoren der Variablen sind in beiden Gleichungen gleich 1, was durch die Vereinfachungen zu begründen ist, die wir jeweils in Schritt 4 vorgenommen haben. Wir müssen hier also nichts mehr tun.

Schritt 9: Wir können die Lösung direkt ablesen: (3,−1) ist die einzige Lösung unseres ursprünglichen Gleichungssystems

⌊                       ⌋
    2-      2
⌈   21x  +   7y  =     0 ⌉
  − 12x  +   25y  =  − 1190

Schritt 10: Zur Sicherheit überprüfen wir unser Ergebnis, indem wir den Punkt (3,−1) in das ursprüngliche Gleichungssystem

⌊   2       2           ⌋
⌈   21x  +   7y  =     0 ⌉
  − 1x  +   2y  =  − 19
    2       5        10
einsetzen. Zuerst setzen wir (3,−1) in die linke Seite der ersten Gleichung ein und überprüfen, ob 0 herauskommt:
2-⋅3+ 2-⋅(− 1) =  2-+ 2⋅(− 1) =  2-− 2- =  0
21    7           7   7          7   7
Dann setzen wir den Punkt in die linke Seite der zweiten Gleichung ein und schauen, ob −19
10 herauskommt:
  1     2            3   2       15   4       19
− 2-⋅3+ 5-⋅(− 1) =   −2-− 5- =  − 10 − 10-=   −10-
Der Punkt (3,−1) erfüllt also beide Gleichungen und ist daher tatsächlich eine Lösung des gegebenen Gleichungssystems.

Tipps 5.6.5. Wie schon beim Lösungsverfahren “Auflösen und Einsetzen” haben wir beim Eliminationsverfahren einige Wahlmöglichkeiten. Auch hier kann man sich Arbeit ersparen, wenn man bedacht wählt. Zwei Dinge haben wir schon angesprochen: wenn in dem angegebenen Gleichungssystem Dezimalzahlen oder Brüche stehen, so kann es sinnvoll sein, alle Gleichungen mit je einer geeigneten Zahl zu multiplizieren, um alle in der Gleichung vorkommenden Zahlen zu ganzen Zahlen zu machen.

Der zweite in Rezept 5.6.3 schon angesprochene Punkt ist, dass man in Schritt 5, beim Ersetzen einer der beiden ausgewählten Gleichungen, die Gleichung wählt, die einem am kompliziertesten erscheint (sofern man damit keine schon eliminierten Variablen wieder verbreitet).

Ein weiterer nützlicher Tipp ist der folgende: ihr müsst beim Lösen eines Gleichungssystems nicht strikt genau eine der beiden Lösungstechniken verwenden, sondern könnt diese auch kombinieren. Schauen wir uns Beispiel 5.6.4 noch einmal an. Genauer gesagt, springen wir zu der Stelle an der wir zum ersten mal Schritt 5 ausführen. Dort stehen wir bei folgendem Gleichungssystem:

2x  +  6y  =    0
        y  =   − 1
Statt nun die zweite Gleichung zu nutzen, um das y in der ersten Gleichung zu eliminieren, können wir auch nach der Methode “Auflösen und Einsetzen” verfahren: die zweite Gleichung ist schon nach y aufgelöst, wir können den Wert also in die erste Gleichung einsetzen und erhalten
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Wir wissen nun also, dass für jede Lösung (x,y) des Gleichungssystems folgendes gelten muss: x = 3 und y = −1. Eine Probe bestätigt uns, dass der Punkt (3,−1) tatsächlich eine Lösung des Gleichungssystems ist.

Diese Kombination der beiden Lösungsverfahren führte also durchaus schneller zum Ziel als das strikte Abarbeiten des Eliminationsverfahrens. Wenn ihr also beim Lösen eines Gleichungssystems mit einem gewissen Lösungsverfahren beginnt, könnt ihr trotzdem zwischendurch auf ein anderes Verfahren umsteigen. Stellt euch das Ganze so vor: nach jedem Mal, dass ihr euer Gleichungssystem umformt, habt ihr wieder ein eigenständiges Gleichungssystem, das dieselben Lösungen hat wie das in der Aufgabe angegebene Gleichungssystem. Ihr könnt das umgeformte Gleichungssystem also so behandeln als wäre es das System, das ihr lösen wollt. Das heißt auch, dass ihr euch theoretisch nach jedem Umformungsschritt erneut für ein gewisses Lösungsverfahren entscheiden dürft.

Natürlich solltet ihr die einzelnen Lösungsverfahren erst beherrschen, bevor ihr anfangt sie miteinander zu kombinieren. In jedem Fall gibt euch eine Probe am Ende Gewissheit, ob der von euch berechnete Punkt tatsächlich eine Lösung des in der Aufgabenstellung angegebenen Gleichungssystems ist.

Aufgabe 5.6.6. Benutze das Gaußsche Eliminationsverfahren um die folgenden linearen Gleichungssysteme zu lösen. Mache jeweils eine Probe, ob dein Ergebnis stimmen kann. (Dies sind dieselben Gleichungssysteme wie in Aufgabe 5.5.5. Wenn du beide Aufgaben bearbeitest, kannst du dir ein Bild darüber verschaffen, wann dir welches Lösungsverfahren lieber ist.)

1.
[                 ]
  x  +  3y  =   0
  x  −   y  =   0
2.
[                   ]
  2x  +   y  =    1
   x  +  2y  =   − 1
3.
[ 3x  +  4y  =   10 ]

  3x  −  2y  =    4
4.
[                  ]
   x  +   y  =   2

  3x  +  5y  =   1
5.
⌊                    ⌋
  − 3x  +  1y  =   2
⌈   2      2         ⌉
     x  −  12y  =   12
6.
[ 0,12x  +  0,04y  =     1 ]

   0,9x  +  0,01y  =  1,12

Aufgabe 5.6.7. Wenn du Aufgabe 5.6.6 bearbeitet hast, bearbeite sie erneut. Triff dieses Mal aber andere Entscheidungen an den Stellen an denen du eine Wahl zu treffen hast: hast du, zum Beispiel, beim ersten Bearbeiten von Gleichungssystem 1 erst x eliminiert und dann Gleichung I ersetzt, so eliminiere nun vielleicht zuerst y oder ersetze Gleichung II statt Gleichung I. Du kannst auch versuchen, Gleichungssysteme 5 und 6 zu lösen, ohne die Faktoren am Anfang ganzzahlig zu machen.

Welche Lösungswege sind für dich am einfachsten? Versuche zu verstehen, welche Auswirkungen die Entscheidungen auf die Schwierigkeit des Lösungsweges haben.

Bemerkung 5.6.8. (weitere Fälle).   Auch bei der Behandlung des Eliminationsverfahrens haben wir unsere Betrachtungen zunächst auf lineare Gleichungssysteme in zwei Variablen mit eindeutiger Lösung beschränkt. Wir wollen daher in dieser Bemerkung und Beispiel 5.6.9 auf die anderen Fälle eingehen, die vorkommen können.

Den ersten Fall, den wir betrachten wollen ist der, dass das gegebene Gleichungssystem zwar lösbar ist, aber keine eindeutig bestimmte Lösung hat. Wie schon in Bemerkung 5.5.6 erläutert, kann dies vorkommen, wenn zwei Gleichungen des Systems durch Multiplikation mit einer Zahl ineinander umgeformt werden können.

Im Eliminationsverfahren bemerkt man diesen Fall spätestens dann, wenn man nach Angleichen der Vorfaktoren die beiden Gleichungen addiert beziehungsweise subtrahiert. Betrachten wir beispielsweise das Gleichungssystem

[                       ]
     x  −   2y =      5
   − 3x +   6y =   − 15
Nehmen wir an, wir wollen x eliminieren und gleichen die entsprechenden Vorfaktoren an, indem wir die erste Gleichung mit 3 multiplizieren. Dadurch erhalten wir die Gleichung
3x− 6y = 15
Addieren wir diese Gleichung nun zur zweiten Gleichung des Systems, so ergibt sich:
        3x  −  6y  =    15
-+----−-3x--+--6y--=---− 15-
                0  =     0
Ersetzen wir die zweite Gleichung im System, so erhalten wir das Gleichungssystem
[                 ]
  x  −   2y =   5
         0  =   0
Da die Gleichung 0 = 0 immer erfüllt ist, stimmt die Lösungsmenge des Gleichungssystems mit der Lösungsmenge der Gleichung
3x− 6y = 15
überein. Demnach hat das Gleichungssystem unendlich viele Lösungen über den reellen Zahlen. Insbesondere ist die Lösung nicht eindeutig bestimmt.

Der zweite Fall, den wir behandeln wollen ist, dass das Gleichungssystem gar keine Lösung in der betrachteten Menge hat. Wie schon in Bemerkung 5.5.6 erwähnt, kommt dies unter Anderem dann vor, wenn das Gleichungssystem zu viele Gleichungen enthält, die nicht wie im obigen Fall ineinander umgeformt werden können.

Im Eliminationsverfahren bemerkt man diesen Fall spätestens dann, wenn man eine Gleichung erhält, die niemals erfüllt ist. Betrachten wir beispielsweise das Gleichungssystem

⌊                       ⌋
     x  +    y =      0
||    x  −   2y =      5 ||
|⌈  − 3x +   6y =   − 15 |⌉

    − x +    y =      4
Wir sehen, dass wir die zweite Gleichung durch Multiplikation mit (−3) in die dritte Gleichung umformen können. Das heißt, dass das vereinfachte Systems
⌊                   ⌋
|   x  +   y  =   0 |
⌈   x  −  2y  =   5 ⌉
  − x  +   y  =   4
dieselbe Lösungsmenge hat wie das gegebene Gleichungssystem. Eliminiert man nun die Variable x, so erhält man womöglich das Gleichungssystem
⌊                 ⌋
  x  +    y =   0
|                 |
⌈    −   3y =   5 ⌉
         2y =   4
in dem man die dritte Gleichung noch vereinfachen kann:
⌊                 ⌋
  x  +    y =   0
|⌈    −   3y =   5 |⌉

          y =   2
Eliminiert man nun y, so ergibt sich etwa das Gleichungssystem
⌊                ⌋
|  x      =   − 2|
⌈      0  =   − 1⌉
        y =     2
welches eine Gleichung enthält, die nie erfüllt ist. Das System hat also keine Lösung.

Beispiel 5.6.9. (mehr als zwei Variablen).   Wir wollen hier an einem Beispiel klar machen, dass Rezept 5.6.3 auch im Falle von mehr als zwei Variablen funktioniert. Dazu betrachten wir das lineare Gleichungssystem

⌊    x −   2y  −   z  =     3 ⌋
|                             |
⌈ − 4x +   9y  +  6z  =    − 9 ⌉
  − 3x +   5y  +  2z  =   − 10
und gehen nach Rezept vor.

Alle vorkommenden Zahlen sind ganze Zahlen, sodass wir Schritt 1 überspringen können. Wir eliminieren zuerst die Variable x, indem wir passende Vielfache der ersten Gleichung zur zweiten und dritten Gleichung addieren. Genauer gesagt addieren wir das 4-fache der ersten Gleichung zur zweiten

        4x  −  8y  −   4z =    12
-+----−-4x--+--9y--+---6z-=---−-9-
                y  +   2z =     3
und das 3-fache der ersten Gleichung zur dritten:
        3x  −   6y  −  3z  =     9
-+-----− 3x-+---5y--+--2z--=--−-10-
            −    y  −   z  =   − 1
Ersetzen wir die zweite und die dritte Gleichung im gegebenen Gleichungssystem, so erhalten wir
⌊                             ⌋
   − x +   2y  −   5z =     1
|⌈           y  +   2z =     3 |⌉
           − y −    z =   − 1

Nun eliminieren wir die Variable y, indem wir passende Vielfache der zweiten Gleichung zur ersten und dritten Gleichung addieren. Genauer gesagt addieren wir das (-2)-fache der zweiten Gleichung zur ersten:

       − x +   2y  −  5z  =    1
 +         −   2y  +  4z  =  − 6
---------------------------------
       − x         −   z  =  − 5
Um y in der dritten Gleichung zu eliminieren, können wir direkt die zweite Gleichung benutzen, ohne sie zu verändern:
        − y  −   z  =   − 1
-+--------y--+--2z--=----3--
                 z  =    2
Nach Ersetzen der ersten und dritten Gleichung sieht unser Gleichungssystem wie folgt aus:
⌊                         ⌋
| − x      −    z  =  − 5 |
⌈        y +   2z  =    3 ⌉
                z  =    2

Zuletzt eliminieren wir z. Dazu addieren wir die dritte Gleichung zur ersten

       − x     −   z  =  − 5
-+-----------------z--=----2-
       − x            =  − 3
und subtrahieren das 2-fache der dritten Gleichung von der zweiten:
          y  +   2z =    3
-−---------------2z-=----4--
          y         =   − 1
Schließlich ergibt sich das Gleichungssystem
⌊  − x          =   − 3 ⌋
|                       |
⌈        y      =   − 1 ⌉
              z =     2
von dem wir die Lösung (3,−1,2) einfach ablesen können (dabei müssen wir nur das Minus vor dem x beachten).

Zur Probe setzen wir den berechneten Punkt in das ursprüngliche Gleichungssystem

⌊    x −   2y  −   z  =     3 ⌋
|                             |
⌈ − 4x +   9y  +  6z  =    − 9 ⌉
  − 3x +   5y  +  2z  =   − 10
ein:

  3    −  2⋅(− 1) −    2   =    3   +   2  −   2  =    3
− 4 ⋅3 +  9⋅(− 1) +   6⋅2  =   − 12 −   9  +  12  =   − 9
− 3 ⋅3 +  5⋅(− 1) +   2⋅2  =   − 9  −   5  +   4  =   − 10
Der Punkt (3,−1,2) ist also in der Tat eine Lösung des betrachteten Gleichungssystems.